17
Als Muad'dib einmal durch die Wüste ging, stieß er auf ein Muad'dib, eine Känguruhmaus, die im Schatten unter einem Felsen hockte. »Erzähl mir deine Geschichte, Kleines«, sagte er. »Erzähl mir von deinem Leben.«
Die Maus war scheu. »Niemand will etwas über mich wissen, denn ich bin klein und unbedeutend. Erzähl du mir von deinem Leben.«
Darauf antwortete Muad'dib: »Dann will auch niemand etwas über mich wissen, denn ich bin genauso klein und unbedeutend.«
Prinzessin Irulan:
Die Kindheitsgeschichte des Muad'dib
Als Alia ihr befahl, sie zum Lagerhausviertel von Arrakeen zu begleiten, blieb Irulan keine andere Wahl, als zu gehorchen. Obwohl sie aus der Todeszelle befreit war und man eine offizielle Begnadigung unterzeichnet und abgestempelt hatte, wusste die Prinzessin, dass die Regentin sie jederzeit nach Salusa verbannen konnte – oder Schlimmeres.
Sie waren mit einem Kontingent von Wachmännern unterwegs und betraten ein kleines Lagerhaus. Drinnen schwirrten Arbeiter wie Insekten in einem Nest umher und verpackten eifrig kleine Bücher, stapelten die Pakete in Container und bereiteten alles für den Vertrieb über das gesamte Imperium vor. Irulan nahm den Geruch von Kunststoff auf Gewürzbasis und Papierstaub wahr, gemischt mit dem allgegenwärtigen Moschusduft von Schweiß und der metallischen Note der Maschinen.
Dann erkannte Irulan die Bücher. Das Leben des Muad'dib. »Das ist mein Buch.«
Alia lächelte und überbrachte ihre gute Neuigkeit. »Eine verbesserte Ausgabe.«
Irulan nahm ein Exemplar in die Hand und blätterte die dünnen, unzerstörbaren Seiten mit dem dicht gedruckten Text durch. »Was meinst du mit verbessert?« Sie las einzelne Passagen und suchte nach Stellen, die verändert, hinzugefügt oder gestrichen worden waren.
»Eine bessere Version der Wahrheit, zum Wohle der Leser überarbeitet, unter Berücksichtigung aller Veränderungen der politischen Situation.«
Duncan Idaho stand schweigend und leicht bedrohlich wirkend neben der selbstbewussten Regentin. Seinem gelassenen Gesichtsausdruck war nicht zu entnehmen, ob er ihren Worten zustimmte, sie ablehnte oder ihnen gegenüber gleichgültig war.
Alia warf ihr kupferfarbenes Haar zurück und gab eine Erklärung ab. »Mein Bruder war ein toleranter, vertrauensvoller Mann. Deine Schriften waren zum größten Teil positiv, doch er hat dir erlaubt, einige kritische Passagen zu verfassen, die seine Entscheidungen in Frage stellen und ihn in einem weniger günstigen Licht erscheinen lassen. Ich weiß nicht, warum er dir das gestattet hat, aber ich bin nicht mein Bruder. Ich verfüge nicht über Muad'dibs Willenskraft. Ich bin nur die Regentin.«
Irulan bemühte sich, nicht verärgert zu klingen. »Bescheidenheit steht dir nicht, Alia.«
»Wir leben in schwierigen Zeiten! Solange die Zukunft des Imperiums auf dem Spiel steht, bewege ich mich auf Zehenspitzen über Trommelsand. Alles, was Pauls Ruf schädigt, schwächt gleichzeitig meine Stellung. Bronsos Manifeste sind wie Bohrwürmer, die an unserem Fundament nagen. Also tue ich alles, um die Kontrolle zu behalten.«
Im Lagerhaus stapelten die Arbeiter Kisten mit der revidierten Biographie auf Suspensorpaletten und beförderten sie zu wartenden Bodenfahrzeugen, die sie an Bord von Frachtschiffen bringen würden. Fast eine Milliarde Exemplare von Irulans Buch waren bereits auf den Planeten verteilt worden, die Paul in seinem Djihad erobert hatte.
»Deine Funktion in meinem Stab ist die eines Gegengewichts zu Bronso. Durch den imperial subventionierten Vertrieb erreichen deine Bücher eine viel breitete Öffentlichkeit, als es dem Verräter mit seinen aufwieglerischen Schriften jemals möglich sein wird. Deine offizielle Geschichte kann seine Lügen mühelos übertönen, notfalls sogar durch rohe Gewalt.«
Irulan war keine Frau, die feige zurückzuckte, wenn ihr Leben bedroht wurde, aber sie fühlte sich Paul gegenüber verpflichtet, und sie musste das Wohlergehen seiner Zwillingskinder im Auge behalten. »Und was genau erwartest du jetzt von mir?«
»Die Sicherheit des Imperiums gründet auf der Ehrfurcht, die das Volk meinem Bruder weiterhin entgegenbringt. Von nun an sollen deine Werke einem bestimmten Zweck dienen. Schreib nur gute Dinge über Paul, über die positiven Aspekte seiner Regierungszeit, selbst wenn du dazu die Wahrheit strapazieren musst.« Alia sah sie mit einem mädchenhaften Lächeln an und wirkte wieder wie das Kind, das Irulan in den ersten Jahren von Pauls Herrschaft mit aufgezogen hatte. »Wenn du das tust, hast du nicht das Geringste zu befürchten.«
In den folgenden Wochen machte sich Irulan wieder an die Arbeit, und Jessica konnte über ihren Eifer und ihre Leidenschaft nur staunen. Die Prinzessin schien einzig und allein daran interessiert zu sein, das Andenken Pauls zu bewahren – und zu überhöhen. Mit kreativer Inbrunst schrieb sie Kapitel um Kapitel, sie erweiterte die ruhmreiche Legende von Muad'dib und nahm sich sogar noch viel mehr Freiheiten als zu Pauls Lebzeiten.
Jessica fand das erschreckend und geschmacklos und beschloss, mit Irulan zu reden. Um Pauls willen.
In ihrem Privatflügel in der gewaltigen Zitadelle hatte die Prinzessin die Inneneinrichtung ausgesucht und mit Handwerkern und Künstlern zusammengearbeitet, um einen Widerhall des Corrino-Palasts auf Kaitain zu schaffen, in dem sie aufgewachsen war. Irulan hatte ihre eigenen Höfe und verglasten Gewächshäuser, Trockenbrunnen und verwitterten Obelisken. Sie blieb meistens auf dem Gelände der Zitadelle und wagte sich nur selten in die Öffentlichkeit hinaus.
Jessica machte sich ohne Eskorte oder Ausrufer auf den Weg und fand die Prinzessin in einem Gartenpavillon, wo sie auf Kristallpapier schrieb. Die jüngere Frau blickte auf und schob sich eine lose Strähne ihres goldenen Haars hinters Ohr. »Jessica, welch eine freudige Überraschung!« Sie deutete auf einen leeren Stuhl neben ihr am Schreibtisch. »Gesell dich zu mir. Ich unterhalte mich immer wieder gern mit dir.«
»Du hast noch gar nicht gehört, was ich dir zu sagen habe.«
Diese Worte lösten ein Stirnrunzeln aus. »Habe ich etwas getan, mit dem ich dein Missfallen erregt habe?«
Jessica nahm die angebotene Sitzgelegenheit an und beschloss, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. »Paul hat etwas Besseres als schamlose Propaganda verdient. Du hast die Wahrheit schon immer auf die eine oder andere Weise gefärbt, Irulan, und die meiste Zeit konnte ich dir deswegen keinen Vorwurf machen, weil du meinen Sohn insgesamt äußerst akkurat dargestellt hast. Aber wenn ich jetzt deine Geschichte mit den bekannten und unwiderlegbaren Tatsachen vergleiche, stoße ich auf große Abweichungen. Diese verbesserte Ausgabe von Das Leben des Muad'dib beunruhigt mich sehr.«
»Es sind Alias Verbesserungen.« Irulan versuchte, ihre Beschämung nicht zu zeigen. »Außerdem – wer kennt schon sämtliche Tatsachen? Es ist nicht mein Ziel, trockene Daten aufzulisten, sondern unsere Regierung in diesen schwierigen Zeiten zu unterstützen, im Interesse der Sicherheit des Imperiums. Du weißt, wie so etwas geht. Wir beide wurden von der Schwesternschaft ausgebildet.«
»Ich weiß, was Alia will, und ich verstehe, dass Propaganda notwendig ist, aber ... so? Überhaupt nichts Negatives mehr? Nicht die leiseste Kritik? Selbst die verzücktesten Pilger erkennen die offensichtliche Schieflage deiner Schilderungen.«
»Nach Alias Meinung ist es die Schieflage, die das Gleichgewicht herstellt.« Irulan richtete sich auf. »Und damit hat sie Recht. Bronsos unschmeichelhafte Offenbarungen richten eine Menge Schaden an, und ich persönlich finde sie höchst verwerflich. Sie schwächen die Regentschaft in einem kritischen, instabilen Moment, während sie sich noch etablieren muss. Wenn Muad'dib in meinen Schriften übermäßig positiv porträtiert wird, gleiche ich damit nur die Verleumdungen aus.« Jessica war überrascht, wie viel Emotion in Irulans Stimme lag. »Die Geschichte liegt in meinen Händen – das hat Paul selbst zu mir gesagt. Ich kann Bronsos aufwieglerische Traktate nicht unwidersprochen hinnehmen.«
Jessica stieß einen langen Seufzer aus. Sie hatte Pauls Geheimnis viele Jahre für sich behalten, doch nun fand sie, dass Irulan alles darüber wissen sollte. »Es gibt da ein Schlüsselereignis, das du nicht verstehst.«
Irulan legte den Schreibstift nieder und schob die Blätter von sich. Sie wirkte steif und übermäßig förmlich. »Dann klär mich auf. Was genau habe ich nicht verstanden?«
»Dass Bronso einst Pauls Freund war.«
Irulan runzelte die Stirn. »Ich habe Pauls Jugend gründlich studiert, also weiß ich alles über seine Kontakte zum Haus Vernius.«
»Aber du weißt auch, dass es irgendwann zum Zerwürfnis zwischen dem Haus Atreides und den Ixianern kam.«
»Ja, aber die entsprechenden historischen Quellen sind lückenhaft und vage. Und Paul wollte nicht über das Thema reden, obwohl ich ihn danach gefragt habe.«
Jessica senkte die Stimme, damit sie niemand belauschen konnte, obwohl sich jeder, der bereit war, in alten imperialen Archiven zu wühlen, mit diesen Ereignissen vertraut machen konnte. »Früher einmal hatten die beiden Häuser eine enge Bindung, und Paul begegnete Bronso zum ersten Mal, als die Familie Vernius zu Herzog Letos Hochzeit nach Caladan kam. Etwas später, als Paul zwölf war, reiste er nach Ix, um gemeinsam mit Bronso zu studieren. Das Gleiche hatte mein Leto in jungen Jahren zusammen mit Rhombur Vernius gemacht. Herzog Leto fand, dass es wichtig für Pauls Ausbildung wäre, um ihn auf seine Aufgaben als nächster Herrscher über Caladan vorzubereiten. Die Jungen wurden zu dicken Freunden – zu Blutsbrüdern, die einander schworen, das Leben des anderen zu schützen. Bis sich alles änderte.«
Während dieser Satz zwischen ihnen in der Luft hing, erwiderte Jessica den wissbegierigen Blick Irulans. Dann begann sie, die Geschichte zu erzählen.